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  • AutorenbildGizem Bulut

Plastik und soziale Gerechtigkeit

In einer Welt, in der Kunststoffe alle Bereiche unseres Lebens berühren, geht das Verständnis ihrer Auswirkungen weit über die Umweltbelastung hinaus. Mit der Plastikproduktion entstehen nicht nur ökologische Probleme sondern auch drängende Fragen der wirtschaftlichen und sozialen Gerechtigkeit. Wie eng sind diese Aspekte miteinander verwoben? Und wie wichtig ist es, dass die Bewältigung des Plastikproblems nicht nur ökologische Erwägungen sondern auch einen umfassenden Ansatz verlangt, der auch wirtschaftliche Fairness und soziale Gerechtigkeit einschließt?


Plastik, das allgegenwärtige Material, in das wir unsere Snacks einpacken, mit dem wir unsere Einkäufe transportieren und das einen großen Teil unseres täglichen Lebens ausmacht, ist nicht nur seit den INC-Treffen der Vereinten Nationen Thema zahlreicher Diskussionen über die Umweltzerstörung. Es wird jedoch viel weniger darüber gesprochen, wie die Herstellung, Verwendung und Entsorgung von Plastik direkt mit Fragen der sozialen Gerechtigkeit zusammenhängt.


Welcher Zusammenhang besteht zwischen diesen beiden Themen, die auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun haben, und warum ist der Umweltschutz eine Herausforderung für Ökologie und Wirtschaft?


Die meisten Kunststoffe werden aus petrochemischen Stoffen hergestellt, die aus fossilen Brennstoffen gewonnen werden. Die Gewinnung, Verarbeitung und Entsorgung dieser Kunststoffe hat kaskadenartige Auswirkungen auf die Umwelt: von der Zerstörung von Lebensräumen zur Ermöglichung der Gewinnung fossiler Brennstoffe bis hin zur Verschmutzung der Umwelt und Meere mit (Mikro-)Plastik.


Diese Probleme werden dann noch verschärft, wenn wir bedenken, dass es Hunderte von Jahren dauern kann, bis Kunststoffe abgebaut sind. Bis dahin setzen sie giftige Chemikalien im Boden und im Wasser frei und finden ihren Weg in die Nahrungskette, was sich auf alle Arten auswirkt, auch auf uns.


Die durch Kunststoffe verursachte Umweltzerstörung betrifft nicht alle Menschen gleichermaßen. Länder und Gemeinden mit geringem Einkommen tragen oft die Hauptlast der Auswirkungen. Hier zwei Beispiele, Abfallexporte und die Erdölförderung:


Abfallexporte:

Industrieländer exportieren seit langem Kunststoffabfälle in sog. Entwicklungsländer. Diese Länder, die oft nicht über die nötige Infrastruktur verfügen, um diesen Abfall zu entsorgen, leiden unter der Verschmutzung von Boden, Luft und Wasser.


Der NABU (Naturschutzbund Deutschland) berichtet, dass ein beträchtlicher Teil der in Deutschland produzierten Plastikabfälle exportiert wird, wobei Länder wie Malaysia und die Türkei zu den Hauptzielländern gehören​​. Diese Praxis hat schwerwiegende Folgen für die Umwelt und die lokale Bevölkerung in den Empfängerländern. Es wird berichtet, dass die Abfall- und Kontrollsysteme sowie die Recyclinginfrastruktur in diesen Ländern oft mangelhaft sind, was dazu führt, dass nur ein Teil der Abfälle tatsächlich recycelt wird. Der Rest wird unter niedrigen Umweltstandards verbrannt, deponiert oder wild entsorgt, was zu Luft-, Boden- und Wasserverschmutzung führt​​. Im Jahr 2022 exportierte Deutschland etwa 734.000 Tonnen Plastikabfälle, was über zehn Prozent des in Deutschland erzeugten Plastikabfalls entspricht.



Förderstätten:

Ölförder- und Raffinerieanlagen, die oft der Startpunkt für Plastikwaren sind, befinden sich unverhältnismäßig häufig in der Nähe von ärmeren Gemeinden, was zu gesundheitlichen Komplikationen und einer verminderten Lebensqualität der Bewohner:innen führt.


Eine Studie von Resources for the Future (RFF) zeigt, dass viele Gemeinden, die wirtschaftlich stark von der Förderung fossiler Brennstoffe abhängig sind, mit Umweltrisikofaktoren wie Luft- und Wasserverschmutzung zu kämpfen haben. Es wird festgestellt, dass viele Bezirke mit hoher Ölproduktion Probleme mit Umweltrisikofaktoren haben, obwohl sie nicht unbedingt unter besonders hohen sozioökonomischen Belastungen leiden​​. Bezirke mit signifikanter Ölraffineriekapazität, insbesondere entlang der Golfküste, neigen dazu, in der Nähe von Städten zu liegen und zeigen moderate wirtschaftliche Belastungen. Vier der fünf wichtigsten Raffineriebezirke haben hohe Minderheitenbevölkerungen, was Bedenken hinsichtlich der Umweltgerechtigkeit in der Nähe dieser Industrieanlagen aufwirft. Viele der Top-25-produzierenden Bezirke haben extrem hohe Lufttoxizität, toxische Wasserabflüsse und Nähe zu Superfund-Standorten sowie Luftverschmutzung. Einige dieser Bezirke liegen entlang eines Abschnitts des Mississippi, der als "Cancer Alley" bekannt ist, und haben das höchste Lufttoxizitätskrebsrisiko in den USA​​.


Dieses Phänomen wird als "Umweltrassismus" bezeichnet. Es wurde dokumentiert, dass etwa 56 Prozent der neun Millionen Amerikaner, die in Nachbarschaften in der Nähe von großen kommerziellen gefährlichen Anlagen leben, BIPoC sind. In Kalifornien liegt dieser Anteil bei 81 Prozent. Die Armutsraten in diesen Vierteln sind 1,5-mal höher als in anderen Vierteln​.



Wirtschaft und die Ungleichheit des Plastikverbrauchs


Es gibt hier eine komplexe wirtschaftliche Dimension. Der globale Norden verbraucht viel Plastik, exportiert aber einen großen Teil seiner Abfälle in den globalen Süden. Diese Handlungen haben finanzielle Hintergründe. Die Verschiffung von Abfällen ist oft billiger als deren Verarbeitung im Inland.


Auf der Empfängerseite sehen die Entwicklungsländer die Abfallimporte manchmal als wirtschaftliche Chance. Sie können wertvolle Materialien gewinnen und recyceln, doch geht dies oft auf Kosten der Umwelt und des Wohlbefindens ihrer Bevölkerung. Außerdem sind die Herstellungsverfahren für Alternativen zu Kunststoffen, wie Biokunststoffe oder wiederverwendbare Artikel, derzeit noch teurer als herkömmliche Kunststoffe.


Was hat Plastik mit sozialer Gerechtigkeit zu tun?


Die Umweltzerstörung betrifft alle, aber nicht alle gleichermaßen. Wenn bestimmte Gemeinschaften, die oft am wenigsten für das Problem verantwortlich sind, die härtesten Konsequenzen tragen, wird es zu einer klaren Frage der Gerechtigkeit. Die Plastikkrise hat unverhältnismäßig starke Auswirkungen auf marginalisierte Gemeinschaften und Entwicklungsländer.


In vielen Entwicklungsländern entstehen kleine, gemeindebasierte Recyclingprogramme entstanden. Diese helfen nicht nur bei der Abfallentsorgung, sondern bieten auch Beschäftigungsmöglichkeiten. Durch die Ausbildung von Einheimischen zum Sammeln, Sortieren und Verarbeiten von Kunststoffabfällen verwandeln Initiativen ein Umweltproblem in eine wirtschaftliche Lösung.


Die Plastic Bank beispielsweise, die in Ländern wie Haiti, den Philippinen und Indonesien tätig ist, bietet Geld oder Waren im Tausch gegen Plastikabfälle an. Das gesammelte Plastik wird dann zu sozialem Plastik recycelt, das Unternehmen kaufen können, wodurch sie ein Gefühl der sozialen Verantwortung in ihre Lieferketten einbringen können.


Die anfängliche Herstellung von Biokunststoffen kann zwar kostspieliger sein, doch die immer voranschreitenden Fortschritte bei der Herstellung dieser senken die Kosten mit der Zeit. Der CO2-Fußabdruck wird durch den Wechsel zu erneuerbaren Quellen wie Mais oder Zuckerrohr erheblich verringert. Das ist ein doppelter Gewinn: Zum einen wird das Umweltproblem angegangen, zum anderen eröffnen sich für Volkswirtschaften, die in diese Alternativen investieren, neue Möglichkeiten in der Landwirtschaft und der Produktion.


Der Übergang von der traditionellen linearen Wirtschaft zu einer Kreislaufwirtschaft, in der Ressourcen wiederverwendet und recycelt werden, kann wirtschaftliche Vorteile schaffen und gleichzeitig die Abfallmenge minimieren. Dieses Modell reduziert den Bedarf an Rohstoffen, verringert damit die Umweltzerstörung und schafft Arbeitsplätze im Recycling- und Wiederaufbereitungssektor.


Viele Länder, die von der Plastikverschmutzung betroffen sind, beherbergen teilweise atemberaubende Naturlandschaften und eine große biologische Vielfalt. Durch Investitionen in den Ökotourismus - bei dem die Umwelt sowohl die Attraktion als auch der Nutznießer ist - können die Gemeinden Einnahmen erzielen und gleichzeitig ihre natürlichen Ressourcen schützen. Initiativen zur Säuberung von Stränden beispielsweise schützen die Meeresfauna und -flora, verbessern das touristische Angebot und fördern das Wirtschaftswachstum.


Die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (SDGs) sind ein weltweiter Aufruf zum Handeln. Ziele wie "Verantwortungsvoller Konsum und verantwortungsvolle Produktion" (SDG 12) und "Leben unter Wasser" (SDG 14) befassen sich direkt mit den Herausforderungen, die durch Kunststoffe entstehen. Durch die Verknüpfung mit umfassenderen Wirtschafts- und Entwicklungszielen erhalten die Länder einen Anreiz, den Umweltschutz in ihre Wachstumsstrategien einzubeziehen.


Im heutigen Zeitalter des schnellen Konsums sind individuelle Maßnahmen und ein bewusstes Konsumverhalten von größter Bedeutung. "Reduce, reuse, recycle" ist nicht nur ein Mantra, sondern ein Lebensstil, der, wenn er von vielen Menschen angenommen wird, die Umweltauswirkungen von Plastik erheblich mildern kann. Außerdem haben wir eine enorme Macht mit unseren Kaufentscheidungen. Wenn wir uns für nachweislich ethische Marken einsetzen, die sich für nachhaltige Praktiken engagieren, wie z. B. die Verwendung von recycelten Materialien oder Biokunststoffen, signalisieren wir dem Markt, dass Umweltbewusstsein geschätzt wird und gefragt ist.


Aber über das individuelle Handeln hinaus liegt die transformative Kraft von Gemeinschaften. Eine Mobilisierung für Aktivitäten wie Strand- und Gemeinde-Cleanups, beispielsweise inspiriert durch den jährlichen internationalen World-Cleanup-Day, belebt nicht nur die lokalen Ökosysteme, sondern stärkt auch die gemeinschaftlichen Bindungen. Solche Aktionen können im besten Fall entscheidende Gespräche auslösen, die dann wiederum zu einem breiteren Verständnis und damit einhergehend sogar zu Verhaltensänderungen in Bezug auf die sozioökonomischen Auswirkungen der Plastikverschmutzung führen können.


Auch an der politischen Front bahnen sich ebenfalls progressive Veränderungen an. Eine wachsende Zahl von Ländern verbietet Einwegplastik entweder ganz oder erhebt darauf erhebliche Steuern. In der Europäischen Union sind seit dem 3. Juli 2021 Einweg-Plastikprodukte wie Strohhalme, Wattestäbchen, Plastikbesteck, To-go-Becher und Fastfood-Boxen verboten. Zusätzlich verbietet die EU auch Einwegplastikteller, -besteck, -strohhalme, -ballonstäbe und -wattestäbchen sowie Produkte aus expandiertem Polystyrol und alle Produkte aus oxo-abbaubarem Plastik​​. Solche Maßnahmen zwingen die Industrie zu Innovation und Nachhaltigkeit. Die Regierungen, die das Potenzial der Kreislaufwirtschaft erkannt haben, bieten Anreize für das Recycling, was die Unternehmen weiter zu nachhaltigen Modellen drängt. Außerdem ist das Thema Plastikverschmutzung derzeit in aller Munde, weil sich die höchsten Instanzen mit dieser Thematik beschäftigen. Wir haben in diesem Blogartikel über den aktuellen Stand des globalen Plastikabkommens berichtet.


Auch die Unternehmensdynamik verändert sich. Fortschrittliche Unternehmen gehen zu Kreislaufmodellen über, integrieren das Recycling in ihre Kerntätigkeiten und reduzieren ihren Abfall. Darüber hinaus wird ein transparenter Ansatz, insbesondere in den Lieferketten, zu einem Markenzeichen – dies in Deutschland aber nicht zuletzt durch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz bzw. die Europäische Lieferkettenrichtlinie. Indem sie die ethische Beschaffung und das Abfallmanagement hervorheben, können Unternehmen bei den zunehmend umweltbewussten Verbraucher:innen mehr Resonanz finden.


Natürlich macht das Problem der Plastikverschmutzung nicht an den Grenzen halt. Diese globale Bedrohung macht eine internationale Zusammenarbeit erforderlich. Durch die Bündelung intellektueller und finanzieller Ressourcen können die Nationen gemeinsam innovative Lösungen wie neuartige Biokunststoffe und universelle Recyclingmethoden entwickeln. Außerdem wächst die Einsicht, dass multinationale Unternehmen einheitliche Umweltstandards einhalten sollten, damit keine Region zu einer bequemen Müllhalde wird.


Bei der Plastikproblematik geht es nicht nur um die Eindämmung von Umweltschäden, sondern um die Gestaltung einer Zukunft, in der ökologisches Wohlergehen untrennbar mit sozialem und wirtschaftlichem Wohlstand verbunden ist. Wir dürfen nicht vergessen, dass der Weg zu dieser nachhaltigen Zukunft kollektives Handeln erfordert.

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